In einem Offenen Brief hat sich Thomas Rech (Foto), Gründungsintendant des Volkstheaters Mondpalast, an den NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet, die NRW-Kultusministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen, den Herner Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda und die Medien gewandt:
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Laschet,
sehr geehrte Frau Ministerin Pfeiffer-Poensgen,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Dr. Dudda,
sehr geehrte Medienschaffende und alle, die sich angesprochen fühlen,
mein Name ist Thomas Rech, ich bin der Intendant des Mondpalastes von Wanne-Eickel, und ich bin entsetzt, verletzt, enttäuscht und auch zornig. Sprachlos bin ich allerdings nicht.
Bevor ich darüber spreche, was mir auf der Seele brennt, sei eines vorneweg gesagt: Unser Land hat sich in dieser Krise bisher großartig geschlagen. Mindestens drei Viertel der Bevölkerung verhalten sich vernünftig und solidarisch. Auch unsere Politiker haben eine gute Figur gemacht und weitgehend klug und uneitel reagiert.
Weiter will ich noch sagen, dass dieses kein Bittstellerbrief ist. Ich fordere auch nichts ein. Ich will lediglich etwas loswerden. Nun denn also:
Vor 16 Jahren hat Christian Stratmann den Mondpalast ins Leben gerufen und mittlerweile mehr als eine Million Theatergäste in das nach wie vor einzige Volkstheater des Ruhrgebiets nach Wanne-Eickel geführt. Mit 500 Plätzen sind wir übrigens das größte Theater dieser Art in Deutschland. Christian Stratmann ist eben ein Visionär. Wer sonst hätte diesen Erfolg wohl vorhergesehen oder gar erwartet?
Ich stand unserem Prinzipal von Anfang an als Gründungsintendant zur Seite. In meiner Verantwortung lag es, gemeinsam mit unserem Hausautor Sigi Domke, der die Komödien exklusiv für unseren Mondpalast schreibt, einen wiedererkennbaren Ton und eine verantwortungsvolle Handschrift für den Mondpalast zu finden. Das ist gelungen, denn wir lieben das Ruhrgebiet, nehmen es ernst, unterschätzen unser Publikum nicht, unterhalten es niemals unter unserem Niveau. In jedem Stück treten wir offensiv für die zentralen Werte unserer Gesellschaft ein, weil wir nicht erst seit gestern sehen, wie ungemein wichtig und nötig das ist.
Der Mondpalast ist ein in der privaten Theaterszene Deutschlands wohl einmalig sozialer Arbeitgeber. Wir haben ein festes Ensemble mit zehn Schauspielern. Sie werden im Sommer nicht entlassen, sondern das ganze Jahr über angemessen entlohnt. Sie haben ordentliche Arbeitsverträge, mit allem, was daraus folgt.
Und das alles ohne jede Subvention. Im Gegenteil: Der Mondpalast zählt sicher nicht zu den kleinsten Gewerbesteuerzahlern dieser Stadt.
Wer glaubt, unsere Gäste kommen nur aus Herne oder gar Wanne-Eickel, der irrt. Sie kommen aus dem gesamten Ruhrgebiet und auch darüber hinaus. Nach einer Untersuchung ist der Mondpalast nach der Cranger Kirmes sogar der größte Werbeträger für Herne.
Für all das haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter um Christian Stratmann mit Herzblut gearbeitet. Als Intendant und Regisseur habe ich all meine Liebe für das Theater und für die Menschen im Allgemeinen und die Menschen im Pott im Besonderen in meine Arbeit gegeben. Irgendwann war es dann so weit, dass ich glaubte, wir sind angekommen, wir sind zu einem unverzichtbaren und wichtigen Teil des Ruhrgebiets geworden.
Doch Pustekuchen! Seit drei Monaten ist unser Theater geschlossen. Und niemanden scheint es zu interessieren. Niemanden außer unseren Gästen, die vermissen uns allerdings sehr. Leider haben sie aber keine öffentliche Stimme.
Auf die öffentlichen Stimmen warten wir vergeblich! Als wir am 05.06.20 unser Theater mit 100 erlaubten Gästen teileröffneten, haben die Feuilletons der Revierzeitungen und unser Haussender WDR das geflissentlich ignoriert. Gab es Nachfragen der Stadt Herne oder unserer Stadtwerber, wie sie uns helfen können, unser Überleben zu sichern? Nein, Fehlanzeige.
Hat sich irgendjemand von den aktiven Politikern und Bankern, von den Ruhrgebietsgrößen und Unternehmern, die wir gerne bei uns empfangen, mal gemeldet, Interesse gezeigt oder gar Spenden oder Hilfen annonciert? Nur ein einziger, bislang ohne Erfolg. Unsere Gäste dagegen haben uns Mut gemacht – mit ihrem Zuspruch und vielen Spenden nach ihren Möglichkeiten. Das bedeutet uns viel.
Der Mondpalast lebt zu 100 Prozent von seinen Eintrittsgeldern. Die sind Mitte März von einem Tag auf den anderen unverschuldet weggebrochen, dabei waren wir bereits bis in den Juni hinein bestens gebucht. Ohne Aussicht auf Einnahmen und belastbare Informationen über eine Wiederaufnahme des Spielbetriebs wäre unser Theaterschiff längst gesunken, wenn sich unser Prinzipal, obwohl er Schulden hasst und 2021 seinen 70. Geburtstag feiert, nicht mit einer enormen sechsstelligen Summe verschuldet hätte, um weitermachen zu können. 16 Jahre ist es ihm gelungen, keine Schulden zu machen.
Und dann muss ich lesen, dass zum Beispiel das Aalto Theater Essen vom Land NRW eine Projektförderung von 500.000 Euro zugesprochen bekam, um einen Info-Bus über das Aalto Theater auf die Straße zu schicken. 500.000 Euro für den Reklame-Karren eines Theaters, das ohnehin hoch subventioniert wird und so gut wie keine existenziellen Probleme kennt! Mit 500.000 Euro könnte dagegen der Mondpalast von Wanne-Eickel ein ganzes Jahr opulentes Volkstheater machen. Ich begreife es nicht!
Wahrscheinlich habe ich mich bereits verständlich gemacht, aber ich fasse noch einmal zusammen: Ich kann es kaum ertragen, dass unsere Arbeit so ohne jeden Nachhall bleibt, dass der Fortbestand des Mondpalastes den Entscheidern in unserem Lande vollkommen gleichgültig zu sein scheint. Wir sind doch der Strukturwandel, wir sind doch systemrelevant.
Das tut sehr weh. Eines ist trotzdem sicher: Wir versuchen alles. Niemand hier gibt auf, ob uns nun jemand hilft oder eben auch nicht. Es ist erst zu Ende, wenn es zu Ende ist. Aber wenn es zu Ende ist, dann ist der Mondpalast weg – für immer.