Crange abgesagt: „Eine besondere Härtefallsituation“

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Von Heidi Hagemann

Die Stadt Herne hat am 30. April die Cranger Kirmes 2021 abgesagt. Damit fällt das Volksfest am Kanal das zweite Jahr in Folge aus. Für die Schausteller ein weiterer Tiefschlag, da vorab die Absage der Palmkirmes in Recklinghausen und der Rhein-Kirmes in Düsseldorf erfolgten. Davor hatte es letztmals 1945 kein Volksfest auf dem Festplatz am Rhein-Herne-Kanal gegeben. An elf Tagen zieht der Rummel auf Crange rund vier Millionen Besucher auf den elf Hektar großen Kirmesplatz. Mit über 500 Schaustellern ist es das zweitgrößte Volksfest in Deutschland.
„Die abermalige Absage ist natürlich bitter, aber sie ist folgerichtig und vernünftig. Wir hätten der Marke Cranger Kirmes nachhaltig geschadet, wenn wir trotz weiter bestehenden Infektionsrisikos an einer Durchführung in diesem Jahr festgehalten hätten“, sagt Holger Wennrich, Geschäftsführer der Stadtmarketing Herne GmbH, in einer Mitteilung der Stadt. „Das Licht am Ende des Tunnels kommt durch das steigende Tempo bei den Impfungen näher, aber eine Veranstaltung mit vier Millionen Gästen kann es Anfang August noch nicht geben“, so Oberbürgermeister Dr. Frank Dudda.
Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, hat mit „Mein Herne“ darüber gesprochen, wie es nach der erneuten Absage der Kirmes weitergehen kann – und über Lösungsvorschläge und Perspektiven der Branche.

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? Herr Ritter, wie ist die Situation und Stimmung bei den Schaustellern?
! Die Absage der Kirmes war für uns alle ein sehr trauriger Tag. Wir hatten die Hoffnung, anhand der Zahlen so lange wie möglich durchplanen zu können, die Verträge waren mit entsprechender Auflösungsklausel auch bereits rausgegangen. Wir Schausteller sind mit am stärksten von der Pandemie betroffen, es ist eine besondere Härtesituation für uns. Wir haben auf den Weihnachtsmärkten 2019 das letzte Mal Umsätze gemacht.

? Welche Alternativen gibt es für die Schausteller?
! Es gibt im Grunde überhaupt keine Alternativen. Wir haben ein Berufsverbot und sind damit auf null gestellt. Ich habe am Gespräch mit Wirtschaftsminister Peter Altmaier teilgenommen und noch einmal darauf hingewiesen, dass die Härtefall-Fonds dringend nachgebessert werden müssen und wir eine weitere, vierte Überbrückungshilfe bekommen müssen. Unser Gewerbe ist eben ein Saisonbetrieb und wir haben in der Winterpause keine Einnahmen. Man kann uns nicht mit anderen über einen Kamm scheren.

? Wie reagieren die Kirmesfans auf die erneute Absage?
! Wir bekommen sehr viele Reaktionen, die meisten reagieren verständnisvoll, aber auch sehr enttäuscht. Das soziale Miteinander und der gesellschaftliche Zusammenhalt geht in der Pandemie verloren. Die Kirmes ist ein immaterielles Kulturgut und hat eine 1200-jährige Tradition. Aus dem einstmaligen Kirchweih- beziehungsweise Laurentiusfest ist eine bedeutungsvolle Veranstaltung geworden. Wir tragen auch zur Integration bei und bieten eine Stätte der Gemeinschaftlichkeit oder sprechen depressiven und einsamen Menschen Mut zu. Schauen wir doch nur einmal auf den Nachwuchs: Selbst unsere kleinsten Kinder haben im Alter von fünf Jahren noch nie Spaß auf einem Karussell gehabt und sind mit ihren Kumpels über den Kirmesplatz gelaufen.

? Wie geht es jetzt weiter? Sind Sie mit der Stadt im Kontakt oder haben Sie weitere Lösungsvorschläge?
! Grundsätzlich sind wir natürlich bereit für andere Lösungen, etwa eine Familienkirmes ohne Bierzelte oder einen temporären Park. Wir möchten das gerne als Gegenstand für weitere Besprechungen erörtern, aber dennoch so dicht wie möglich an das Original Cranger Kirmes herankommen. Wir wünschen uns, dass wir im August noch einmal weiterschauen können und, wenn der Termin naht, aufgrund der aktuellen Zahlen entscheiden und das Bestmögliche daraus machen.

? Wie steht es denn aus Ihrer Sicht um die Möglichkeit eines temporären Parks?
! Es gibt gute Beispiele in Düsseldorf oder Dortmund, dass das gut funktionieren kann. Man muss sich dabei immer fragen, ob sich das lohnt. Aber grundsätzlich sind wir an Zwischenlösungen interessiert, denn es kommt in erster Linie auf das gesellschaftliche Miteinander an. Wir haben sehr gute Erfahrungen mit den Hygienemaßnahmen in den Freizeitparks und haben dort die Voraussetzungen mit reguliertem Zugang geschaffen. Das Konzept zum Beispiel im Europa-Park im baden-württembergischen Rust mit rund 20.000 Besucherzahlen ist aufgegangen. Wir geben einfach die Hoffnung nicht auf und werden sicherlich bald wiederkommen.

 

Quelle: Mein Herne

Foto: Stadtmarketing